Sonntag, 11. September 2011

Abschluss ohne Heimfahrt

Tag 8:

Es ist so weit: die Wind-App sagt ideale Bedingungen fürs Drachensteigen lassen voraus. Am Vorabend hatten die Eltern meiner geliebten Frau uns fast auf einen Tagesausflug für heute festgenagelt. Nach Bremerhaven sollte es gehen... dabei ist nur noch heute passabler Wind zu erwarten. Wenn ich der App Glauben schenken darf, ist ab Dienstag durchgehend zu viel Wind gepaart mit immer wiederkehrendem Regen) zu erwarten.

Ich mache mich also unmittelbar nach dem Frühstück auf den Weg, um endlich mal ungetrübte Freude bei meinem Hobby empfinden zu können.

Und tatsächlich es herrscht ein starker, nicht immer beständiger aber mehr als ausreichender Wind. Und, was ich die vergangenen Tage immer mehr vermutet als gewusst habe: es ist geil!

Einen Kite zu lenken ist leichter Sport, ein Grund an die frische Luft zu gehen und zutiefst befriedigende Meditation. In die Lüfte gehoben vom Wind, gelenkt von mir selbst, zieht er in mal weiten, mal engeren Radien seine Bahnen am Himmel. Das pfeiffende Geräusch des Windes, den die Leinen zerschneiden, begleiten die eleganten Bewegngen des farbenfrohen Schirmes.

Sofort drängen sich Parallelen zum sogenannten echten Leben auf, das mit Metaphern aus diesem Sport angereichert werden könnte: wo der Wind am stärksten bläst, ist nicht zu sehen – es muss erahnt werden; aus einem Luftloch manövriert man seinen Kite nicht durch Überlegung heraus, sondern fast ausschließlich durch intuitives Handeln; und die vielleicht wichtigste Erkenntnis ist, dass der Drachen nur deshalb aufsteigt und fliegt, WEIL er durch eine Leine festgehalten wird.

Ein Bild, das auch sehr gut auf die Erziehung von Kindern oder auf Ausbildungssituationen im Allgemeinen übertragbar ist . Lässt man die Leinen zu lose, wird der Drachen sich gar nicht erst in nennenswerte Höhen erheben können, sondern vielleicht nur vom Wind über den Boden geschleift. Zieht man sie zu straff, wird sich der Schirm eventuell gar losreißen und in der Folge jeder weiteren Kontrolle entziehen, um letztlich an einem nicht näher bestimmbaren Ort nieder zu gehen. Nur das rechte Gleichgewicht aus Ziehen und Loslassen führt zur Entfaltung der Schönheit des Fluges. Mal ist die Leine zur Linken straffer zu halten, mal die zur Rechten. Je nach Zugverhältnis zieht der Kite nach links oder nach rechts. Das perfekte Wechselspiel erst ermöglicht, einen eigenen Kurs, eine schöne Figur im Gleiten am Himmel.

Es kommt mir beinahe vor, wie eine Erweiterung von Tai Chi am Himmel.

Dieses Erlebnis gönne ich mir zwei mal an diesem Montag. Erstaunlich vor allem, wie viel Freude es bereitet. Noch erstaunlicher dann, wie viel Energie man offenbar in dieses Spiel investieren muss. Nach jedem Ausflug komme ich in die Ferienwohnung zurück und bin ganz überrascht, wie erledigt und ausgepowert ich mich fühle. Ein Sport, wie mir scheint, der gesund ist, ohne spaßbefreit anstrengend zu sein ;-)


Tag 9:

Wieder einmal hatte die Windfindungssoftware auf meinem Handy recht: es stürmt. Windstärken von vier bis sieben sind prognostiziert. Und das Heulen des Sturmes vor der Tür flößt Respekt ein. Kein Gedanke daran, meinen neuen – so wunderbaren Kite zu riskieren.

Kein Gedanke daran aber auch, weil heute der Ausflug mit den Schwiegereltern nach Bremerhaven ansteht. Um 9:15 Uhr werden wir abgeholt. Weil ich es mir mit niemandem aus der näheren Verwandtschaft dauerhaft verderben möchte und doch das Internet praktisch für jedermann zugänglich ist, verzichte ich an dieser Stelle auf eine detaillierte Schilderung der Umstände von Hin- und Rückfahrt. Nur so viel: nicht alle Straßen können nach Rom führen, da einige in der navigatorischen Bedeutungslosigkeit enden.

Bremerhaven ist eine bemerkenswerte Stadt. Beeindruckende Hafenanlagen, ein gut organisierter kleinerer, alter Hafen, in dem vorwiegend die Euros der Touristen aus-geschifft werden sollen und ein relativ neu gebauter Hotelturm, der eine atemberaubende Aussicht auf das Umland ermöglicht. Und das bei Windstärke sieben! Wer frei von Höhenangst ist und nicht an Magersucht leidet (da in solcher Höhe das Merkmal >vom Winde verweht< einen bitteren Beigeschmack erhalten kann), der sollte sich da unbedingt hoch begeben.

Dann gab's noch das Mittagessen, das an einfacher Schönheit im Gesamtbild kaum zu übertreffen sein dürfte. Gebratener Hering (kein Brathering im klassischen Sinne), Kartoffelsalat und Pots (die Kurzform von Potsdamer, welches in Bayern wohl eher als Radler bekannt ist). Das Pots wollte ich weltmännisch, wie ich mich als Sprachgenie zu Recht fühle, mit der nordischen Bezeichnung Alsterwasser bestellen. Das hätte mir, wie ich unmittelbar erfahren musste, in Hamburg vielleicht gerade noch Anerkennung eingebracht. Hier, in einer total verschiedenen Gegend bekam ich auf mein „Ein Alsterwasser, bitte.“ nur den trockenen Kommentar einer altgedienten Servicekraft „Ein Pots, für den Herren.“. Unnötig, zu erwähnen, dass die Bedienung während unseres Dialoges nur einmal kurz von ihrem Notitzblock aufblickte, um mir ein freundliches (vielleicht mitleidiges???) Lächeln zu schenken. Alles in Allem gilt aber: dieser Laden („Fischbäcker“) ist nahezu uneingeschränkt für jeden empfehlenswert, der Wert auf gute und bodenständige Küche ohne jeden Schnickschnack legt.

Nachdem mein Schwiegervater uns (später auch der Bedienung) erklärt, dass er keinen Fuß mehr in diesen Laden setzt, wenn nur irgend etwas von der Einrichtung modernisiert würde, wies er meine Schwiegermutter kurz an, die Rechnung zu begleichen. Dankenswert in jedem Fall. Das hier ist sein Stammlokal, wie er stets beteuert, 933km von seinem aktuellen Wohnort entfernt.

Im Anschluss fahren wir nach Hause – also in unsere Pension. Dankenswert schon wieder. Und der Rest des Tages findet vollkommener Erschöpfung hingegeben im Bett statt, von wo aus wir einen perfekten Blick auf den Fernseher genießen.

Morgen geht’s nach Hause – ins echte Zuhause :-)

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