An der Wesermündung:
Urlaubstag 1(b):
Nach 2 Tagen Anreise, 933km unterbrochen von einer anstrengenden und außergewöhnlich guten Familienfeier, nun der erste eigentliche Urlaubstag. Ist es wahr, dass die Seele mit maximal 80 km/h reisen kann oder ist das das Alter. Es muss das Alter sein. Eine kurze Überschlagsrechnung zeigt, in 36 Stunden hätte meine Seele mehr als die dreifache Strecke zurücklegen können.
Die erste Nacht in Rufweite zur Nordsee war angenehm, die Betten ohne wesentlichem Grund zur Beanstandung. Gut, der Fernseher ist zu klein – selbst für einen Tatort. Das Einschlafen war nach 36 Stunden mit nur rund 4 Stunden Schlaf dazwischen weitaus weniger einfach, als erhofft. Viele Gedanken über die Verwandtschaft, die weit, weit weg wohnt und die ich seit rund 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Außergewöhnliche Menschen, die mir das gute Gefühl gegeben haben, nie weg gewesen zu sein. Eher noch haben sie suggeriert, ich hätte dort, über 400 Kilometer von der eigenen Heimat entfernt, noch eine zweite, eine Reserveheimat.
Nun heute also das erste Frühstück im lang herbeigesehnten Urlaub. Obwohl... lang herbeigesehnt hat ihn Annette, meine Frau. Ich selbst hätte (zumindest meiner subjektiven Einschätzung nach) keinen Urlaub gebraucht. So wie ich mich hier und jetzt aber fühle, brauche ich ihn vielleicht sogar noch dringender. Es wird sich zeigen. Ich bin frohen Mutes, wie man so schön sagt.
Das Frühstück war unspektakulär, bodenständig und gut. Hatte kräftigen Schwarztee. Schmeckt mir oft besser und zeitigt bei mir eine angenehmere Wirkung als der alltägliche Kaffee. Die Wirtin unserer Pension scheint mir ein angenehmer Mensch zu sein. Die anderen Gäste sind unaufdringlich und verzichtbar.
Urlaub mit den eigenen Eltern in der selben Pension, die Schwiegereltern nur 2 Kilometer weiter im Ferienhaus und die liebe Gattin keinen Meter entfernt. Habe ich schon erwähnt, dass ich gespannt bin, wie erholsam der Urlaub für mich wird?
Das Wetter hier ist ein eigenes Thema, das ich in künftigen Berichten von dieser Reise wenn möglich ausklammern werde. So oft, wie sich das binnen Stunden, manchmal Minuten, komplett ändern kann, ist es keiner Chronik würdig. Heute Morgen Novemberregen mit Herbstwind; eine Kombination, die mich mehr erfreut, als manch einer vielleicht vermuten würde. Kurz darauf Sommersonne, dann dazu dieser kräftiger Wind, der mich euphorisch macht, um mich schließlich mit einem kräftigen Regenguss vom Deich zu treiben.
Der Wind. Nicht so stetig, wie ich gehofft hatte. Habe mir heute Vormittag eine Lenkmatte (Drachenersatz) gekauft. Lässt sich leider nur mit Anstrengung steuern, böiger Wind mit kurzen Pausen macht ein erfülltes Drachen-Steigen-Lassen fast unmöglich. Viel Verdruss. Dann mein Vater, der sich während meines Kampfes mit den Elementen einen richtigen Lenkdrachen holt. Hätte ich auch machen sollen. Sein Drachen steigt auf (von mir gelenkt), dann ein scharfes „Klick“. Die linke Schnur scheint gerissen (es war dann aber der Befestigungsring an der Handschlaufe), der Drachen dreht sich in einer starken Böe mit über 150 RPM rechts um die eigene Achse. In dieser wenig eleganten Flugbewegung nähert er sich unaufhaltsam dem Boden. Die verbliebene rechte Schnur verheddert sich in einem Baum zwischen mir und dem Drachen. Ich bin gezwungen, stark nachzugeben, damit das Ding nicht im Baum hängen bleibt, sondern auf die wilde Wiese dahinter stürzen kann. Es beginnt zu regnen, mit zunehmender Tendenz. Die Regentropfen sind viel dramatischer als Zuhause. Ich bin enttäuscht, dass der wesentlich bessere Drachen keine 20 Sekunden in der Luft war, ehe er sich in wilden Kapriolen wieder Richtung Erde bewegte. Mein Vater ist verärgert, diagnostiziert einen Materialfehler und kündigt an, zu reklamieren.
Sonst nichts. Erholung ist gut. Keine Termine, kein Telefon. Warum auch. Es hätte keinen Sinn, würde nichts ändern. Heute Abend Essen im Ferienhaus der Schwiegereltern. Es gibt Granat mit Rührei und Schwarzbrot.
Jetzt gibt’s „Die Zeit“, welche mich mit einem Titel gelockt hat, der argwöhnen lässt, die Redakteure haben mein Tagebuch gelesen. Unverzüglich würde ich rechtliche Schritte einleiten, wenn ich Tagebuch führen würde. Danach ein ausgedehntes Nickerchen. Keine weiteren Aufgaben. Die nächsten Tage sind nicht geplant und werden, wenn es sich vermeiden lässt, auch weiter ungeplant kommen und sich einfach ereignen.
1 Kommentar:
Ians
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